Hauptspeise: Einsamkeit und Apfelkuchen
Regentropfen fielen auf den dunklen Asphalt. So wie Regentropfen es nun einmal tun, wenn sie auf nichts Anderes fallen können, als Asphalt, um sich dort zu Pfützen zu sammeln oder in den Rinnstein zu fließen um im nächsten Gulli ihr Ende zu finden. Es war insgesamt ein sehr grauer Tag. Sie Wolkendecke war an einigen Stellen fast schwarz und der Regen wollte nicht aufhören zu fallen.
Doch genau durch dieses Grau musste David hindurch. Er war zum Essen verabredet und ausgerechnet jetzt musste es regnen, als stände die Sintflut bevor. Aber David wusste nicht, wie nahe die Sintflut in Wirklichkeit war und so ging er weiter seinen Weg durch die endlose Zahl der Tropfen.
In einem Café an einer Straßenecke sollte Julia auf David warten, bei einer Tasse Chai und einem Stück Apfelkuchen. Bis dahin hatte David aber noch einen langen Weg vor sich, einen langen Weg durch viele Regentropfen.
Er hatte überlegt einen Schirm mitzunehmen, aber als David das Haus verlassen hatte, waren es nur wenige Tropfen, die vom Himmel fielen. Zu Davids Stimmung passten die fallenden Tropfen jedoch sehr gut, denn es fühlte sich in ihm an, wie ein starker Regen, der aus seiner Seele durch sein Herz bis in seine Füße fiel.
David hatte Julia lange nicht gesehen und eigentlich war er froh darüber, sie wiederzusehen, aber er wusste nicht, wie er das plötzliche Treffen zu verstehen hatte. Und ob sie überhaupt da sein würde wusste David auch nicht. Julia war eine katzengleiche, schöne Frau, mit der David eine lange und wundervolle Zeit verbracht hatte. Höher geflogen war er noch nie mit jemandem, nie war er so euphorisch wie mit Julia.
Eines Morgens wachte David auf und wollte seinen Arm um Julia legen. Doch da, wo Julia liegen sollte, lag keine Julia, sondern nur eine gefaltete Decke und ein aufgeschütteltes Kissen. Im Rest der Wohnung fehlte jede Spur von ihr, selbst ihre Kleidung war verschwunden. Als David versucht hatte, Julia anzurufen, bekam er nur eine Ansage, die Nummer sei nicht vergeben. Von jetzt auf gleich gab es in Davids Leben keine Julia mehr.
Was David nicht verstehen konnte war, was Julia plötzlich von ihm wollte. Warum sie sich nach all der Zeit meldete und ob er erfahren würde, warum sie abgehauen ist.
Autofahrer drängten sich auf den Straßen zusammen fuhren dicht an dicht mit vollgeregneten Scheiben, fuhren dich am Bürgersteig vorbei und durch Pfützen hindurch. Durch Pfützen, neben denen David lief und das Wasser, welches von den Reifen aufgewühlt und durch die Luft geschleudert wurde, abbekam.
Sie kam also immer näher, die besagte Sintflut. Und immer näher kam David dem Café, in welches Julia ihn gerufen hatte. Das Café, in welchem er Julia zwar erwartete, aber nicht sicher sein konnte, ob sie schlussendlich auch dort sein würde.
Vielleicht hätte David die Nachricht ignorieren, vielleicht hätte er absagen sollen, um zu verhindern, dass er enttäuscht würde oder um zu testen, ob sie es wirklich ernst meinte. Doch er war einfach zur Tür hinausgegangen und war nun so nass wie ein Pudel, den man in den Atlantik geworfen hatte.
Als die Kanalisation der Stadt nicht mehr fähig war, die Wassermassen aufzunehmen und sich auf den Bürgersteigen Sturzbäche bildeten, erreichte David endlich sein Ziel. Besagtes Café war ihm nur zu gut bekannt, denn hier hatte er einige Stunden mit Julia verbracht. Oft waren sie hergekommen, hatten Apfelkuchen gegessen und gelacht, während sie verliebte Blicke durch den Raum und zu einander warfen.
Nun sollte Julia wieder hier sein. Sie hatte ihn an den Tisch gerufen, an dem die beiden sonst immer gesessen hatten.
Er strich sich den Regen aus dem Gesicht und sah sich um. Dort wo Julia sitzen sollte, saß keine Julia. Wie auch keine Julia im Bett gelegen hatte, wo eine Julia hätte liegen sollen. Auf dem Tisch stand nur eine Tasse Chai und ein Teller mit einem Stück Apfelkuchen. Daneben ein Brief, adressiert an David.

Hey David,
es ist lange her dass wir uns gesehen haben, und noch länger dass wir miteinander gesprochen haben. Das hätte ich gerne heute getan. Doch es hat sich falsch angefühlt, an unserem alten Tisch zu sitzen. Es tut mir leid dass ich dich wieder alleine gelassen habe. Eines Tages werden wir uns sehen. Lass dir den Kuchen schmecken, ich weiß, dass du ihn magst.
In Liebe, Julia.
David wusste nicht, was er denken sollte. Umsonst war er durch den Strom wütenden Regens gelaufen, hatte sich von Autos bespritzen lassen, in der Hoffnung, endlich Antworten zu bekommen. Doch Fehlanzeige. Keine Julia, keine Antworten. Nur eine Tasse Chai und ein Stück Apfelkuchen.
Und so aß David, während draußen das Wasser stieg und die Tür des Cafés verschloss.