Feuer und Flamme, Zucker und Tod
Kennt ihr Hagen? Nein?
Nicht schlimm. Denn ich erzähle euch die Geschichte von Hagen.
Hagen wohnte zusammen mit seinen drei Katzen, Putin, Chip und Chap, einer Vogelspinne und jeder Menge Kakerlaken zusammen im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses. Eigentlich wohnt Hagen gar nicht da, er kommt meist nur um die Katzen zu füttern, und die Sauereien zu entfernen, die sie ständig hinterlassen.
So war es auch diesmal. Hagen kam zur Tür hinein, und siehe da, Putin hat mal wieder in die Ecke hinter dem Sofa gekotzt, Chip und Chap haben sein Bett zum Katzenklo umfunktioniert. Immer das Selbe. Also erst einmal Futter herausholen, damit die drei Biester nicht durch ihre eigenen Hinterlassenschaften rennen.
Hagen passte es gar nicht. Er musste noch Klamotten aus der Reinigung holen, einkaufen und sich fertig machen.
Jetzt stand er in der Küche, kramte drei Schüsseln aus dem Schrank, zog einen großen Sack Trockenfutter unter der Spüle hervor und füllte die Schüsseln. Das Zeug stank wie drei Wochen alter Fisch, aber seine Katzen liebten es.
Und genau die waren es, die jetzt wie aufgeregte kleine Kinder um seine Beine wuselten.
Schnell mit den Schüsseln raus aus der Küche, den Katzen vor die Nase und ab ins Bad. Er hatte im Schrank extra eine Dose mit Granulat, welches Flüssigkeit aufsaugt. Das Zeug, das oft im Kindergarten benutzt wird, wenn eins von den Kindern irgendwohin gekotzt hat.
Also, drauf damit auf die Katzenkotze und -pisse, und selbst was zu essen machen, solang das Granulat seine Arbeit macht.
Da waren immer noch die Sachen, die aus der Reinigung geholt werden mussten, und nur darauf warteten wieder in Hagens chaotisches Heim einzukehren.
Statt etwas zu essen hätte Hagen natürlich auch schon in die Reinigung gehen können, aber bis er wieder da wäre, hätte Putin längst das Granulat gefressen, es ausgekotzt und wieder gefressen.
Irgendwo im Schrank waren doch noch Instantnudeln, nur wo. Endlich fand Hagen sie, machte den Wasserkocher an, und wartete einen Moment.
Es schmeckte furchtbar, aber egal, Hagen stand unter Zeitdruck. Da waren immer noch die Ausscheidungen der Katzen in der Wohnung, die Klamotten in der Reinigung, und jetzt hatte er von Geschmacksverstärkern verseuchte Nudeln in der Fresse. Was für eine tolle Figur er doch abgab.
Als die Schüssel mit den Nudeln endlich leer war, konnte Hagen sich um das Granulat kümmern. Es hatte sich in graues schleimiges Püree verwandelt. Sah ein bisschen aus, wie die Stücke Hirn die nach einem Kopfschuss an der Wand kleben.
Wenigstens konnte man es mit Küchenpapier vernünftig entfernen.
Pisse und Kotze entfernt.
Check.
Klamotten aus der Reinigung?
Fehlanzeige.
Also endlich aufraffen, Jacke an, Schuhe zubinden, raus.
Wieder einmal musste Hagen durch dieses ekelhafte Treppenhaus. Die Wände waren von den Kindern überall bemalt, und im Erdgeschoss nisteten sich immer wieder Obdachlose ein, weshalb es auch im Treppenhaus immer nach Pisse stank. Und nicht nur nach Pisse, nach allem Möglichen. Es war einfach nur ekelhaft.
Endlich hatte Hagen die erlösende Türklinke in der Hand. Noch einmal einen Schritt zurück in die Sauerei, und nichts wie los ins Freie.
Den Würgereflex konnte er gerade unterdrücken. Es hatte wieder einmal extrem gestunken. So extrem wie schon lange nicht mehr. Manchmal dachte Hagen, vielleicht würden die Obdachlosen ja Leichen dort unter der Treppe verstecken, weshalb es dann hin und wieder mehr stank als sonst.
Hagen hatte sich zwar mit dem Gestank abgefunden, den er immer wieder in seiner Wohnung hatte, aber ihm waren die Hinterlassenschaften seiner Katzen doch lieber, als der Dreck, den die Penner im Treppenhaus machten.
Jetzt aber nichts wie los zur Reinigung.
Hagen lief die Straße entlang, bis zur nächsten S-Bahnhaltestelle. Ein Ort, der ihn fast so sehr ekelte, wie das Treppenhaus. Nicht weil es stank, sondern weil sich die Jugendlich aus dem Stadtviertel dort versammelten, sobald die Dämmerung anbrach. Die Haltestelle wurde dann zu einem Fußbad aus Rotze, und aus mindestens drei verschiedenen Handylautsprechern kam unterschiedliche Musik.
Doch tatsächlich hatte Hagen Glück. Er kam kurz vor der S-Bahn an, und musste sich nicht länger als nötig zwischen den ganzen Vollidioten aufhalten.
Die Fahrt mit der S-Bahn verlief unspektakulär. Wenigstens hatte hier jeder der Musik wollte, Kopfhörer in oder auf den Ohren.
Schon zwei Stationen weiter musste Hagen aussteigen. Direkt nach dem er aus der Bahn raus war, bat er eine junge Frau um eine Zigarette. Sie willigte ein, er steckte sich die Kippe in den Mund, bekam Feuer und verabschiedete sich.
Hübsches Ding dachte Hagen.
Doch er hatte schon eine Verabredung für diesen Abend. Deshalb musste er auch endlich in der Reinigung ankommen. Er wollte zu ihr.
Und endlich kam er an. Er nahm seine Hemden, gab der Frau hinter dem Tresen das Geld und verschwand zur Tür hinaus. Jetzt zurück zur S-Bahn.
Dort angekommen sah er, dass die junge Frau noch immer am Bahnsteig stand. Hagen lächelte ihr zu. Sie nickte und kam auf ihn zu.
„Wo willst du denn mit den Hemden hin? Hast du etwa heute noch was vor?“
>Na klasse, eine Nutte< dachte er.
„Ja, das habe ich tatsächlich.“ antwortete Hagen, sogar wahrheitsgemäß.
„Das ist schade, ich hätte mich über Gesellschaft gefreut.“
Sie grinste ihn an, drehte sich um und ging.
Und da kam auch schon die nächste Bahn.
Hagen stieg ein, setzte sich direkt neben die Tür und lehnte sich zurück.
Die Bahn fuhr los.
Hagen wurde ein wenig hin und her geschüttelt. Nichts ungewöhnliches.
Doch vor der letzten Haltestelle passierte es.
Ein Rumms. Quietschende Bremsen. Stillstand.
Hagen hatte eine grobe Ahnung was passiert war. Irgend jemand hatte sein Leben beendet und sich vor die Bahn geworfen. Ausgerechnet seine Bahn.
Es dauerte nicht lange, bis das passende Personal anwesend war und die Fahrgäste aus dem Zug holte. Auch Hagen stieg aus. Er sah zur Zugspitze, wo schon die ersten Arbeiter dabei waren die Leiche, oder das was von ihr übrig war zu bergen.
Und Hagen schaffte es, die Leiche zu sehen.
>Fuck.<
Es war Hagens Date.
>Und die Kleine vom Bahnhof kann ich jetzt auch vergessen...<
oeko am 01. Juli 15
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